Gestern hatte ich eine virtuelle Therapiestunde bei meiner Psychoonkologin. Super! Ich sage Euch, die Stunde war super!! Danach war ich richtiggehend euphorisiert, auch wenn das Thema kein leichtes war. Es ging um loslassen. Das ist etwas, was mich mein ganzes Leben lang begleitet, das loslassen. In allen möglichen Facetten begegnet es mir, weil das DAS zentrale Thema meines Lebens ist.
Begonnen hat die Stunde mit meinem Traum, den ich vor vielen Jahren kurz nach Hajos Tod hatte:
Ich lebte, wieder jung geworden, mit meinen Eltern und meiner kleinen Schwester auf einer wunderschönen Insel mit einem tollen Strand, wo unsere Mutter in einer Holzhütte Stoff verkaufte (Trachtenstoffe hat sie früher wirklich verkauft) und meine Schwester im Sand spielte. Um die Insel herum war ein breiter Holzsteg, der ins Meer führte und auf dem mein Vater einen Bus fuhr, so einen langen Gelenkzug (er war in der Tat Busfahrer). Dann kamen Außerirdische, das waren aber auch Menschen, die jedoch auf einem anderen Planeten wohnten. Um landen zu können, brauchten sie Zeichen, die bestanden aus kleinen bunten Plastikteilchen, die man auf den Steg legen musste, wo sie landen sollten. Sie kamen aber nur zu bestimmten Menschen, nur diese konnten die Außerirdischen sehen und mussten vorher quasi heimlich diese bunten Plastikteilchen platzieren.
Immer wieder landeten Außerirdische und nahmen freiwillige Inselbewohner mit in eine andere Welt. Wieder nur die, die sich entschieden mitzufliegen, sahen die Raumschiffe, für die anderen waren sie unsichtbar. Wenn sie kamen, wurde ein Licht auf den Steg gestellt und dort landete dann das Raumschiff und die Leute, die mitfliegen wollten, stiegen ein. Auf einmal wurde mir gesagt, dass auch für mich so ein Raumschiff lande, und ich war voller Freude. Schon kam es angeflogen, so ein Ding wie Flugzeug und Raumschiff gleichzeitig. Ich sprach noch mit meinen Eltern, sah, dass alles gut ist, und stieg ein. Wir flogen los. Ein sehr netter junger Franzose mit wuschigen dunklen Locken und ziemlich breitem Mund sagte mir, er nehme mich nun mit auf seinen Planeten. Ich freute mich und fragte, wann wir denn zurückkämen? Nie mehr, sagte er zu mir, wenn du mit mir fliegst, kommst du nie mehr zurück. Ich war völlig entsetzt, wie nie mehr, ich muss doch wieder nach meinen Eltern sehen. Nein, das ginge dann nicht mehr, wenn ich einmal mit ihm mitgeflogen sei, gäbe es kein zurück. Aber da, wo er mich hinbrächte, sei es wirklich sehr sehr schön.
Das war das damalige Ende. Ich wurde wach mit dem Gefühl, dass ich nicht weg kann und nicht weg will. Der Traum hörte genau da auf, wo ich meine Entscheidung, wegzugehen, hätte leben müssen. Für mich zur damaligen Zeit schwer vorstellbar.
Heute hat sich das komplett verändert, darum ging es in dieser Therapiestunde. Heute fühle ich die Möglichkeit, wegzukommen von dem alten Leben, heute würde ich dem jungen Franzosen begeistert folgen und mich auf das neue Leben freuen. Zurück blicken, ja, aber nicht zurück bleiben.
Das hat viel mit meinem „Vebundmenschentum“ zu tun, wie ich das Muster unserer Familie nenne und was ich hier genauer erkläre. Heute kann ich altes loslassen, kann mich trennen, kann sozusagen zu neuen Ufern aufbrechen.
Und dann ging es darum, meine Krebserkrankung loszulassen. Das ist nämlich auch nicht leicht. Es geht nicht darum, aus einer Krankheit Gewinn zu ziehen, was es ja durchaus auch gibt, besondere Rücksichtnahme einfordern, Dinge nicht können, weil… und so weiter. Nein, es geht darum, nicht mehr ängstlich zu verharren, sondern die Krankheit wirklich als vorbei zu akzeptieren. Das heißt auch nicht, dass man nie mehr krank wird. Man ist ja nicht immun. Es heißt aber auch nicht, dass man wieder krank wird. Es heißt im Grunde gar nichts, außer dass man wieder gesund ist und, wie jeder andere Mensch auch, krank werden kann oder gesund bleiben kann. Alles wieder auf Null sozusagen.
Alles ist Leben, sagte meine Therapeutin an einer Stelle. Gesund sein ist Leben. Krank sein ist Leben. Therapie machen ist Leben. Und alles irgendwann mal loslassen ist auch leben. Genau das ist für Verbundmenschen nicht so einfach. Aber ich wusste ja schon, warum ich mir damals nach der Diagnose sofort eine Psychoonkologin gesucht habe. Eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Immer und immer wieder.
Und jetzt lasse ich los, oder sagen wir es anders, ich steige zu dem wunderschönen Franzosen in das Raumschiff und bin dann mal weg 😉
